Schreckensmeldungen aus Gorleben, oder: Manipulativer Journalismus für Anfänger

Jeder kennt den Namen, jeder weiß worum es geht, wenn das Wort „Gorleben“ fällt. Die Meisten werden sogar ungefähr wissen, wo es ist. Es ist dieser Ort in Niedersachsen, an dem regelmäßig Tausende Menschen versuchen, skrupellose Konzerne daran zu hindern, tonnenweise nukleare Abfälle in einem Loch im Boden zu verscharren.

Ein Loch voll mit Wasser, Erdöl, explosiven Gasen. Aber wie viele von euch waren schon einmal dort, um es sich anzusehen?

Wir wissen ja mittlerweile gut genug, dass jeder Presseverlag, jeder Fernsehsender, sogar jeder Aktivist und Blogger seine Veröffentlichungen an der eigenen Meinung ausrichtet. Dennoch war ich schockiert über das Ausmaß der schlechten Recherche, einseitigen Berichterstattung und sensationalistischen Panikmache, der in Verbindung mit dem Erkundungsbergwerk Gorleben stattfindet. Hier muss ich zunächst Buße tun und zugeben, dass auch ich bisher auf die relative Neutralität der Presse und die Ehrlichkeit von Umweltverbänden vertraut habe – diese sind schließlich mit dem Ziel angetreten, die Welt zu verbessern, also müssten sie natürlicherweise aus ehrlichen, guten Menschen bestehen, oder? Auch ich war in der Vergangenheit fleißig, wenn es Zeit war, Veröffentlichungen von Bürgerinitiativen und Umweltschutzgruppen zu verbreiten (auch in diesem Blog), in denen alle, die mit Gorleben zu tun hatten, als korrupte Lügner angeprangert wurden. Denn – so mein Bild – dort wurde schließlich für wirtschaftliche Interessen gehandelt, nach unvollständiger Prüfung und mit Sicherheit so billig wie möglich.

Nun, um die Spannung nicht allzu unerträglich zu machen, löse ich jetzt schon einmal auf, dass dieses Bild falsch ist. Zu den Details kommen wir gleich. Zunächst stellt sich die Frage: Warum? Das werden vermutlich Psychologen, Soziologen oder ähnliche Experten genauer beantworten müssen – in den meisten Fällen werden jedenfalls Informationen, die die Wissenschaftler herausgeben, von nicht fachkundigen Journalisten missverstanden oder zur eigenen Überzeugung passend zurechtgestutzt. Denn wenn man ein paar wichtige Details weglässt, können selbst positive Ergebnisse hinterher klingen, als stünde die großflächige Verseuchung des Wendlandes unmittelbar bevor. Daraus resultieren dann öffentliche Empörung, politische Angst um Wählerstimmen und irrationale Entscheidungen.

Was zweifellos richtig ist an den skandalösen Nachrichten, die man so hörte über die letzten Jahre, ist die Tatsache, dass der Standort Gorleben unwissenschaftlich ausgewählt wurde. Ein Dorf am Rande der alten Bundesrepublik, direkt an der Grenze zu den ungeliebten Kommunisten, die ganze Region (scheinbar) bewohnt von wenig gebildeten, schlecht vernetzten, obrigkeitshörigen Bauern – das schien bequem und billig. Was für mich nicht überprüfbar ist, aber plausibel klingt, ist dass zu diesem Zweck auch Gutachten gefälscht worden sein sollen, damit sie eine besondere Eignung des Gorlebener Salzstockes bescheinigen. Was aber von der verkorksten Standortauswahl nicht beeinflusst wird, sind die tatsächlichen Ergebnisse der bergmännischen Erkundung. Und über die wird nicht nur wenig geredet – wenn überhaupt, dann werden sie außerdem verzerrt. Die Namen der originalen Veröffentlichungen der Ergebnisse in wissenschaftlicher Form findet ihr am Ende dieses Artikels – zum Nachlesen in der Universitätsbibliothek eures Vertrauens.

Noch mal schnell ein Disclaimer: In diesem Post werde ich für die weitergehende Erforschung des Salzstockes Gorleben argumentieren. Meine Einstellung zur Kernenergie hat sich jedoch nicht geändert: Dumme Idee. Punkt. Der Müll ist nun aber da und muss weg, und die Suche nach einem geeigneten Endlager muss wissenschaftlich geschehen, nicht politisch. Egal wie viel um Gorleben in der Vergangenheit gestritten wurde – wenn die Wissenschaft herausfindet, dass es sicher ist, wäre es grob fahrlässig, aus Angst vor neuen Protesten ein eventuell weniger geeignetes Lager zu verwenden, oder noch einmal 30 Jahre lang weiterzusuchen. Auch der aktuelle neue Erkundungsstopp ist völliger Unfug. Dort wurde schon so viel gute, solide Vorarbeit geleistet – wenn alles gut ginge und keine Ausschlussfaktoren bei der weiteren Erkundung auftauchten, könnte vielleicht in wenigen Jahren mit der Einlagerung begonnen werden und die so verhassten und langfristig unsicheren Zwischenlager könnten von der Erdoberfläche verschwinden.
Ich wurde für diesen Artikel weder von der Nuklearindustrie noch von anderen Stellen bezahlt oder unter  Druck gesetzt, allerdings habe ich von der Betreibergesellschaft des Bergwerkes, DBE, ein kostenloses Mittagessen erhalten. Wer mich kennt, weiß dass das zwar genügt um mir eine Freude zu machen, nicht jedoch um meine Meinung zu politischen Themen zu beeinflussen.

Wie nun, fragt ihr euch sicher, komme ich also darauf, plötzlich anderer Meinung zu sein? Ich fragte eingangs, ob ihr euch schon einmal selbst vor Ort ein Bild gemacht habt. Den Geowissenschaftsstudenten der Universität Hamburg wurde eine Exkursion angeboten – unser herzlicher Dank geht hier vor allem an Frau Prof. Pfeiffer vom Institut für Bodenkunde, die seit einiger Zeit jährlich diese Veranstaltung organisiert und begleitet. Nach einem Jahr Warteliste (es gibt viele Interessierte an Führungen durchs Bergwerk) setzten wir uns also mit 15 KommilitonInnen in die Kleinbusse der Uni und fuhren am 12. März 2014 um 6:30 im Grindelviertel los. Zwei Stunden später, die wir hauptsächlich im Windschatten von LKW auf der Landstraße verbrachten, passierten wir im Wald außerhalb von Gorleben zunächst das „Transportbehälterlager“, besser bekannt als Castor-Zwischenlager. Und hier fängt es auch schon an mit den Mythen.

Castor-Transporte direkt ins Endlager
Erstaunlich viele Menschen scheinen davon überzeugt zu sein, dass die nuklearen Abfälle, die mehr oder weniger regelmäßig mit den Castor-Transporten nach Gorleben rollen, direkt im Salzstock vergraben werden. Dabei kommen sie nicht einmal auf das Gelände des Bergwerkes. Der Förderturm wäre überhaupt nicht in der Lage, die 120 Tonnen eines gefüllten Castor-Behälters zu tragen, für einen späteren Endlagerbetrieb müsste im heute nur zur Lüftung benutzten zweiten Schacht eine neue Anlage errichtet werden. Und, ganz nebenbei: es existiert kein Endlager im Salzstock Gorleben.
Nein, die Castorbehälter kommen ins Transportbehälterlager, wo sie erst einmal ein paar Jahrzehnte abkühlen müssen – nicht einmal dem hochtemperaturbeständigen Steinsalz will man die mehrere hundert Grad Celsius heißen Abfälle zumuten, aus Sicherheitsgründen, damit durch thermische Beanspruchung keine Spannungen und Risse entstehen. Ton und Kristallingestein halten übrigens weniger aus – später mehr dazu.
Bilder vom Lager habe ich nicht, da unsere Führung nur das Bergwerk umfasste. Wir erfuhren zwar später, dass man auch das Lager mit Anmeldung besuchen kann, aber da wir keine hatten, war das an diesem Tag nicht möglich.

Ein paar hundert Meter weiter parkten wir auf einem Besucherparkplatz und begaben uns ins Infozentrum des Erkundungsbergwerkes. Dort wurden wir von zwei Repräsentanten begrüßt, einer davon der ansässige Geologe, und man ließ uns eine einführende Präsentation zuteil werden. Bereits hier erfuhr ich überraschende Dinge zu weiteren öffentlich bekannten Bedenken…

Der Salzstock steht mit Grundwasser in Kontakt und löst sich auf
Nun, das ist strenggenommen kein Mythos. Schon der um 1980 von der PTB mit einer ersten Untersuchung beauftragte Geologe Klaus Duphorn fand das heraus. Er wird auch heute immer wieder zitiert mit seiner Aussage, eine langfristige Abschirmung könne nicht garantiert werden. Was damals aber noch nicht getan wurde, war genau nachzumessen, wie schnell die Auflösung vonstatten geht. Heute weiß man das: etwa 20 Meter in einer Million Jahren. Das projektierte Endlager läge in einer Tiefe von 900 bis 1200 Metern. Der Salzspiegel (die Obergrenze des Salzstockes) liegt in etwa 250 Metern Tiefe. Man geht von einem Absinken der Radioaktivität auf ungefährliche Werte nach einer Million Jahren aus.

In der letzten Eiszeit wurde das Deckgebirge von Gletschern bis aufs Salz abgetragen! Das kann wieder passieren!
Wenn eine erneute, so intensive Vergletscherung geschieht: Ja. Das Deckgebirge ist in Gorleben aber ohnehin nicht Teil des geologischen Einschlusses (ihr erinnert euch: es führt Wasser), dieser wird ausschließlich durch das Salz bewirkt. Selbst wenn der Salzspiegel erneut freigelegt würde, lägen immer noch mindestens 650 Meter Salzgestein zwischen den Abfällen und der Oberfläche. Und: durch die letzte eiszeitliche Freilegung wurde keine signifikante Reduktion der Salzmächtigkeit bewirkt.

Der Salzstock bewegt sich aufwärts
Auch das ist kein Geheimnis – Salz ist leichter als andere Gesteine, weshalb es aus den tiefen Schichten, in denen es nach seiner Entstehung begraben wurde, nach oben quillt und Salzstöcke bildet. Auch das musste aber erst genau nachgemessen werden. Der Aufstieg anderer Salzstöcke (oder in der Fachsprache: Diapire) liegt in der Größenordnung einiger Zentimeter pro Jahr, was durchaus für ein Endlager zu viel sein könnte. In diesem konkreten Diapir ist aber bereits fast das gesamte im Einzugsbereich liegende Salz in die charakteristische Struktur aufgestiegen, und da kein Nachschub kommen kann, wird die Bewegung  – geologisch gesehen „bald“ – völlig zum Stillstand kommen. Die Aufstiegsgeschwindigkeit liegt zur Zeit ebenfalls in der Größenordnung von 20 Metern pro Jahrmillion. Eine Reaktivierung des Diapirs erfordert entweder magische Neubildung von Salz in 3500m Tiefe oder eine massive Erhöhung des Überlagerungsdruckes – also die Ablagerung mehrerer hundert Meter von neuem Gestein. So etwas dauert typischerweise einige zehn bis hundert Millionen Jahre und erfordert die Versenkung der gesamten Region unter den Meeresspiegel. Zwar könnte der Klimawandel das zeitweise bewerkstelligen, allerdings müsste die Überflutung einige Millionen Jahre anhalten, bis etwas passierte.

Es wurde noch über die Geschichte des Standortes und ursprüngliche, aber schnell verworfene Pläne zum Bau einer Wiederaufbereitungsanlage mit angeschlossenem Endlager gesprochen, dann war es auch schon Zeit, sich zur Materialausgabe zu begeben. Eingekleidet in Overalls, Sicherheitsschuhe und Helme mit Lampen und behängt mit schweren Sauerstoffgeräten für den Notfall wurden wir mit anderen Besuchergruppen in den Förderkorb gepfercht – etwa 30 bis 40 Personen – und mit einem seltsamen Gefühl im Bauch sahen wir zu, wie der vom Tageslicht erleuchtete Innenraum des Förderturmes ohne viel Federlesen nach oben an uns vorbei beschleunigte und verschwand. Mit 10 Metern pro Sekunde ging es minutenlang durch tiefe Schwärze, bis wir 840 Meter unter der Geländeoberfläche etwas schwindlig wieder ausstiegen.

Füllort der 840m-Sohle

Klüfte ermöglichen das Eindringen von Wasser
Ja. Wenn vorhanden. In der Umgebung der Schächte ist das Salz tatsächlich durch die beim Aufstieg des Diapirs wirkenden Kräfte stark verformt, teilweise gefaltet, zerlegt. Die Anhydritschichten – der wasserfreie Zustand von Gips – die sich in jeder typischen Abfolge von Evaporitgesteinen (also solchen, die durch Verdampfen von Meerwasser entstanden sind) finden, sind teilweise dazwischen gelagert worden. Das ist prinzipiell schlecht, denn während Steinsalz massig, wasser- und gasdicht ist, auf Verformung plastisch reagiert und durch Bergdruck nicht bricht oder reißt, ist Anhydrit spröde und porös. Er kann Wasser führen und eine Bruchfläche bieten, an der Gesteinsblöcke gegeneinander beweglich sind.

„Gorleben-Bank“ (grau/weiß, Anhydrit) und Orangesalz (orange, Steinsalz) der Zechstein 3 – Folge
Bruchfläche an der Gorleben-Bank mit Messinstrument

Hier ist zu sehen, wie das Salz sich unter dem Gebirgsdruck langsam plastisch nach innen bewegt, um den Stollen zu verschließen. Dieser Vorgang dauert einige Jahrzehnte bis Jahrhunderte und stellt neben der Verfüllung mit dem zuvor ausgelagerten Salz die geplante Verschlusstechnik für ein Endlager dar – das Salz heilt vollständig aus und schließt die Abfälle luftdicht ein. Man sieht es aber nur so deutlich, weil das Gestein an einer spröden Anhydritschicht (grau) auseinandergebrochen ist. Wo kein Anhydrit ist, passiert das nicht, und weder Wasser noch Gase können sich im massiven Steinsalz bewegen.
Die Hauptaufgabe der Wissenschaftler im Erkundungsbergwerk besteht darin, einen ausreichend großen Bereich homogenen, also undurchlässigen und plastischen Salzes zu finden, in dem das Endlager eingerichtet werden kann. Nach bisherigen Bohrungen und Radarmessungen ist das in der Mitte des Salzstockes der Fall, aber durch den erneuten Erkundungsstopp kann das noch nicht mit Sicherheit gesagt werden.

Als nächstes führte uns eine rasende Fahrt mit einem offenen „Bus“ durch dunkle, gewundene Gänge zur Fördersohle in 880 Metern Tiefe. Hier wurde (und wird bei einer zukünftigen Wiederaufnahme der Erkundungstätigkeit) das bei der Auffahrung ausgebrochene Salz für den Transport nach Übertage verladen. Mit Blitzlicht gut zu sehen: der durch das Fahrzeug aufgewirbelte Salzstaub in der trockenen Luft.

Verladestation für Abraum auf der 880m-Sohle

Vorbei an Bergleuten mit einer großen Arbeitsmaschine („Glückauf!“) wurden wir bald darauf wieder zurück in den beleuchteten, geräumigen Bereich der Erkundungssohle gebracht, bis zu einer Absperrung am Beginn eines der beiden langen Querschläge, die Strecken, die den Salzstock der Breite nach durchqueren. Von dort ging es zu Fuß weiter, denn…

Wasser, Gas, Erdöl dringen ein
Nein. Sie sind vorhanden. Sie dringen aber nicht ein.
…was?!
An einigen Stellen, wiederum gehäuft im Schachtbereich, im als Endlager vorgesehenen Zentralbereich bisher nicht, stieß man auf winzige Hohlräume im Salz. Diese enthalten teilweise gesättigte Salzlösung, teilweise Kohlenwasserstoffe. Die Sorge scheint berechtigt, dass es sich um Wassereinbrüche handelt, um Leckstellen, an denen aus tieferen Schichten Erdgas eindringen und das Endlager sprengen könnte. Jedoch wurden die gefundenen Stoffe auf ihre chemische Zusammensetzung untersucht und ihr Alter datiert. Das Ergebnis? Sie sind über 250 Millionen Jahre alt – älter als der Salzstock. Sie wurden bei der ursprünglichen Ablagerung des Salzes eingeschlossen, haben sich seither nicht mehr bewegt und keinen Kontakt zur Außenwelt gehabt, insofern stellen sie zwar eine Gefahr für die Bergarbeiter dar, wenn sie neue Schächte vortreiben – in diesen Hohlräumen stehen Flüssigkeiten und Gase unter hohem Druck – die aber mit geeigneten Sicherheitsvorkehrungen beherrschbar ist, nicht jedoch handelt es sich um eine Einschränkung der Sicherheit eines Endlagers. Im Gegenteil: durch diese Einschlüsse konnte bewiesen werden, dass das Innere der Salzstruktur seit 250 Millionen Jahren ununterbrochen von der Außenwelt abgeschirmt war. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass sich das in den nächsten Jahrmillionen ändert. Verschweigt man nur diese eine Information – das Alter der eingeschlossenen Fluide –  erhält man, nun ja, das hier.
Der verlinkte Artikel berichtet außerdem von einem gewöhnlichen Erdgasvorkommen unter dem Salzstock. Auch das ist richtig. Zwischen dem zukünftigen Endlager und dem Gasvorkommen liegen aber über zwei Kilometer massives Steinsalz…?! Egal, von einem anderen Ort hat man dieses Erdgaslager schließlich angebohrt und dort kam es dann oberirdisch zu einer Explosion – eindeutig gefährlich! Die Schlussfolgerung, dass Brotkonsum zu Gewalttätigkeit führt, weil ja alle Kriminellen Brot essen, ist mit dieser Logik dann auch nicht mehr absurd.
Ihr seht, worauf ich hinaus will.. auch der Spiegel BILDet deine Meinung.

Gern würde ich euch Fotos von den Ölfunden zeigen – dort sickert braune Masse aus den Wänden und es riecht nach Diesel – aber zum Zeitpunkt unseres Besuches wurden dort gerade alte Probebohrungen auseinander gebaut, und aufgrund der dabei möglichen Austritte von Gas und einer resultierenden theoretischen Explosionsgefahr war nicht nur das Autofahren, sondern auch das Hantieren mit elektronischen Geräten inklusive Kameras verboten. Damit das nicht wieder falsch verstanden wird: es handelte sich um eine gesetzlich vorgeschriebene Arbeitsschutzmaßnahme. Ein tatsächlicher Gasaustritt fand meines Wissens nicht statt.

Ach ja, Aussage der Wissenschaftler: Sollte es sich bei der weitergehenden Erkundung herausstellen, dass tatsächlich auch im Zentralbereich des Salzstockes solche Ölfunde auftreten, wäre natürlich die Eignung in Frage zu stellen (wenn auch nicht ausgeschlossen, siehe bisherige Argumentation). Bisher gibt es dafür aber keine Anzeichen.

Der Salzstock Asse ist doch auch abgesoffen! Salz ist unsicher!
Asse II ist eine Fehlkonstruktion. Dort hat man ein altes Salzbergwerk als Endlager wiederverwendet. Der Salzstock ist ein Schweizer Käse und genügt nicht einmal den heutigen Anforderungen für normalen Bergbau. Man hat das Salz bis zur Grenze der Statik und bis an die Grenze zum Nebengestein ausgebeutet, und nun fällt alles in sich zusammen und Wasser dringt ein. Der Salzstock Gorleben ist wirtschaftlich uninteressant, dort ist nie Salz abgebaut worden. Man fährt dort nur die für Erkundung und spätere Endlagerung nötigen Hohlräume auf und hält einen großen Sicherheitsabstand zum Rand der Salzstruktur, so dass Wasser gar keine Möglichkeit hat, einzudringen.
Die Luft im Bergwerk ist warm und staubtrocken wie in der Wüste. Die Temperatur beträgt 30°C, die Luftfeuchtigkeit weniger als 30%. Mir sind im Verlauf des zweistündigen Aufenthaltes fast die Lippen aufgeplatzt und mein Hals fing an zu kratzen. Da ist kein bisschen Wasser, außer der angesprochenen kleinen Einschlüsse von 250 Millionen Jahre altem Zechsteinmeer.

Aber andere Gesteine sind viel stabiler als Salz!
Sie sind härter. Das bedeutet, dass sie sich weniger verformen – das klingt erst einmal gut, aber wenn sie es tun, dann brechen sie und bilden Wegsamkeiten für Wasser und Gase. Salz fließt unter hohem Druck plastisch. Wenn Hohlräume entstehen (durch thermische Spannungen oder Bautätigkeiten), verschließen sie sich mit der Zeit von selbst wieder. Kristallin- und Kalksteine sind außerdem weniger resistent gegen die hohen Temperaturen, die von Nuklearmüll ausgehen, das heißt: eine lokale Erhitzung führt schneller zu Brüchen. Das Endlager Schacht Konrad wird in Kalkstein eingerichtet, der von einer dicken Tonschicht gegen die Biosphäre abgedichtet wird. Daher kann dort nur schwach- und mittelaktiver Abfall eingelagert werden. Für hochaktiven Abfall ist das keine Lösung. Steinsalz hat dem gegenüber eine gute Wärmeleitfähigkeit, Risse sind also weniger wahrscheinlich und haben eine kleinere Eindringtiefe.

Einen kurzen Blick in die Fahrzeugwerkstatt später wurden wir auch schon gebeten, noch ein Stück Steinsalz als Andenken aus einer Gitterbox zu nehmen und uns wieder in den Förderkorb zu begeben. Gegen den Strom der hereinziehenden Frischluft, die uns in den gut 90 Sekunden Fahrt trotz Overall gründlich auskühlte, ging es wieder ans Tageslicht, in die Kantine und danach zu einer Abschlussdiskussion, in der viele der vorgenannten Fragen erörtert wurden.

Was gibt es zusammenfassend zu sagen? Eigentlich habe ich das ja schon am Anfang dieses Artikels getan: Der Fernseher (die Zeitung, das Radio) lügt. Ob in politischer oder sensationalistischer Absicht oder aus Unverständnis, können nur die verantwortlichen Redakteure beantworten. Ich bin nach Gorleben gefahren, in der Erwartung ein Desaster vorzufinden und den Betreibern unangenehme Fragen stellen zu können. Ich empfand das Motto der Betreibergesellschaft („Verantwortung für Generationen“) als tiefschwarz zynisch und erwartete für uns Fachkundige leicht durchschaubare Propaganda.
Ich komme zurück mit dem Wissen, dass dort hochwissenschaftlich und professionell an der Sicherung der Nuklearabfälle Deutschlands für viele Jahrtausende gearbeitet wird. Ich komme zurück, den Frust der Wissenschaftler und Bergleute teilend, denen aus politischem Opportunismus immer wieder die Arbeitsgrundlage entzogen wird. Hätte man sie nach dem ursprünglichen Zeitplan arbeiten lassen, hätte das Endlager (einen weiterhin positiven Eignungsbefund nach vollständiger Erkundung vorausgesetzt) schon längst in Betrieb gehen können. Die bisherigen und jetzigen Verzögerungen bedeuten, dass wir noch für Jahrzehnte hochradioaktiven Atommüll in Blechhallen im Wald werden lagern müssen.

Das Vorgehen der Politik – Wählerfang auf dem Rücken eines so wichtigen, sicherheitskritischen Projektes – ist unverantwortlich. Das Vorgehen der Presse ist unanständig. Den Gegnern von Bergwerk und Endlager kann man keinen Vorwurf machen – wer nur beängstigende Desinformation erhält, muss verunsichert sein. Empfehlen kann ich allen aber uneingeschränkt einen Besuch im Erkundungsbergwerk Gorleben (klicken für Infos).


Anmerkung: Informationen ohne Quellenangabe, die in den nachfolgenden wissenschaftlichen Texten nicht enthalten sind, habe ich vom Personal vor Ort.

A Kaul, H Röthemeyer, Investigation and evaluation of the Gorleben site: a status
report, Nuclear Engineering and Design, Volume 176, Issues 1–2, 3 November 1997,
Pages 83-88, ISSN 0029-5493, http://dx.doi.org/10.1016/S0029-5493(96)01345-3.
(http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0029549396013453)
Bornemann, O. et al., Standortbeschreibung Gorleben Teil 3 - Ergebnisse der über-
und untertägigen Erkundung des Salinars. Geologisches Jahrbuch Reihe c, 2008,
Nr. 73, S. 211.
Urheberrechtshinweis – Abweichend von meinen anderen Texten gilt für diesen und die enthaltenen Bilder:
Creative Commons Lizenzvertrag
„Schreckensmeldungen aus Gorleben, oder: Manipulativer Journalismus für Anfänger“ von Pickhammer ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.
Bei Weiterverwendung von Inhalten würde ich mich über eine Nachricht freuen! Über eine kleine Anerkennung in Form von Bitcoins natürlich auch, ist aber selbstverständlich nicht nötig. 1FV6CGpBQ2qEupLaV4jLKJqJqK1gZfzPcW

Schreibe einen Kommentar zu googles Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

2 Gedanken zu “Schreckensmeldungen aus Gorleben, oder: Manipulativer Journalismus für Anfänger”