Offener Brief an die Medien zur Berichterstattung über die Streiks der GDL

Sehr geehrte Damen und Herren in den Redaktionen,

 

mit Entsetzen verfolge ich dieser Tage Ihre im Großen und Ganzen stark parteiische Berichterstattung über die Streiks der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer. Der für mein Unverständnis ausschlaggebende Artikel bezeichnet das Vorgehen gar als „Perversion des Streikrechts“ (tagesschau.de). Vielerorts wird die Aussage der DB zitiert, angeblich habe die GDL die Tarifverhandlungen „kurz vor einem Ergebnis“ (angedeutet wird: grundlos) platzen lassen. Soeben hörte ich auf NDR Info einen Beitrag, der zwar den GDL-Vorsitzenden Herrn Weselsky zu Wort kommen ließ, allerdings so aus dem Zusammenhang gerissen, dass für den Zuhörer weiterhin der Eindruck bestehen bleiben muss, der Abbruch der Verhandlungen sei willkürlich oder zumindest maßlos übertrieben. Warum wird über die Gründe nicht oder nicht prominenter berichtet? Sie sind doch überaus relevant, um der Öffentlichkeit zu erklären, was in diesem Tarifkonflikt eigentlich wirklich passiert!

Ich bin entsetzt, weil mit einem Hauch von Unterstellung der Eindruck einer konzertierten Propagandaaktion entsteht, die zum Ziel zu haben scheint, Gewerkschaften im Allgemeinen und die der Lokführer im Speziellen in der Gesellschaft zu diskreditieren. Ich bin entsetzt darüber, dass bislang kein Medium, auf das ich stieß, sich die Mühe macht das angeblich so gute Angebot der DB AG darzustellen. Vielleicht haben Sie es einfach noch nicht gelesen? Schauen Sie doch mal hier: Entwurf eines Tarifvertrages zur Regelung tariflicher Verfahrensfragen (gdl.de). Versuchen Sie die Tatsache totzuschweigen, dass es gesetzwidrig, wenn man so will sogar verfassungswidrig ist und eine Zustimmung dazu für eine ehrliche Gewerkschaft völlig unmöglich ist? Man könnte ja plötzlich Solidarität heraufbeschwören, wo kämen wir denn da hin!

Die DB AG fordert von der GDL, zukünftig auf ihr Recht zu verzichten, für die bei ihr organisierten Mitarbeiter, die keine Lokführer sind, Tarifverträge abzuschließen. Dies wird in Scheinzugeständnissen verborgen, namentlich in der Erlaubnis, Verhandlungen zu führen, jedoch soll die Entscheidung über Akzeptanz oder Ablehnung eines Tarifvertrages für andere Mitarbeiter der EVG vorbehalten sein, umgekehrt soll die GDL allein über Tarifverträge für Lokführer entscheiden. Dies ist ein direkter Widerspruch gegen das Grundrecht auf Koalitionsfreiheit. Hierzu zitiere ich das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Artikel 9, Absatz 3:

(3) Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig.

Noch einmal ganz einfach: die GDL (und natürlich auch die EVG) hat das verfassungsmäßig(!) festgelegte Recht, für alle(!) ihre Mitglieder, ungeachtet ihres Berufes, Tarifverhandlungen zu führen und Tarifverträge abzuschließen. Die Arbeitgeberseite versucht konsequent, ihr dieses Recht zu verweigern. Die einzige mögliche Antwort auf eine derartige Unverschämtheit ist ein Streik. Ginge es nach mir, wäre er unbefristet.

Was tut derweil die angeblich sozialdemokratische Arbeitsministerin Frau Nahles? Sie schlägt vor, die Tarifeinheit per Gesetz festzuschreiben (spiegel.de), also genau das, was die DB AG für sich fordert, für alle Betriebe anzuordnen. Gewerkschaften dürften dann nur noch für die Mitarbeitergruppen verhandeln, bei denen sie in einem Betrieb die Mehrheit der Arbeitnehmer vertreten. Ich möchte noch einmal an die Koalitionsfreiheit erinnern: dieses Gesetz wäre verfassungswidrig! Dass sich noch kein Gewerkschaftsbündnis gebildet hat, um für den Fall einer Verabschiedung einen Generalstreik im Sinne des Grundgesetzes Art. 20 Abs. 4 anzukündigen, wundert mich eigentlich auch.

Es ist wieder einmal ein unerträgliches Armutszeugnis der sogenannten vierten Gewalt, dass sie sich derartigen Versuchen, die sozialstaatliche Grundordnung zu beseitigen, nicht entschlossen entgegenstellt. Wo sind die investigativen Berichte über Hintergründe und Motivationen beteiligter Politiker? Wo ist die Aufklärung der Bevölkerung im Rahmen des politischen Bildungsauftrages öffentlich-rechtlicher Medien über ihre Grundrechte und über das verfassungswidrige Verhalten der Bundesregierung? Stattdessen wird mit einseitiger Berichterstattung das Volk gegen Arbeiter und Gewerkschaften aufgehetzt. Wenn nicht, dann wird zumindest die Position der Gewerkschaft kleingeredet und der versuchte Rechtsbruch des Arbeitgebers und der Politik als gerechtfertigt dargestellt. Sehr geehrte Damen und Herren Journalisten, wie können Sie nachts überhaupt schlafen?

 

Auch wenn es mir schwerfällt gilt an dieser Stelle ein Lob der BILD, die tatsächlich Herrn Weselsky so umfassend zitiert (bild.de), dass der verfassungswidrige Charakter des Arbeitgeberangebotes klar wird! Das hätte ich wirklich nicht erwartet.


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